Donnerstag, 8. Januar 2009

Über Regenwürmer, Lummerland und Schimpansenbild ... I think

Wer war Darwin? Wir werden hier nicht versuchen diese Frage zu beantworten, denn Presse und Buchhandel bis hin zum Fernsehen haben sich ja im Vorfeld und zu Beginn des Darwinjahrs förmlich überschlagen, um uns endlich zu sagen, wer Darwin wirklich war. Überaus interessante Beiträge sind darunter, aber ein einheitliches Bild ergibt sich nicht, sondern alles pendelt, etwas überspitzt gesagt (aber nicht, wenn man die Beitragsüberschriften nimmt) irgendwo zwischen folgenden Interpretationen:
Darwin war je nach Autor ein Genie, Revolutionär, Zweifler, Ideenklauer, Kaplan des Teufels, Mörder des Schöpfungsglauben, überzeugter Atheist, Sterbebett-Wiederchrist, Stiller Denker, gewiefter Taktiker, Sozialdarwinist, ja laut taz sogar der Ideengeber der Geschlechterklischees. Etliche gute Artikel und Serien wurden in den ersten beiden Blogs ja bereits angegeben (was nicht bedeutet, dass es nicht viel weiteres Interessantes gäbe); wühlen Sie einfach in unseren am Ende und seitlich angegebenen Links.

Heute wollte ich Sie schlicht auf drei Artikel hinweisen und diese etwas kommentieren.

1) Die Jungle World publizierte heute eine gekürzte Fassung eines früheren Radiobeitrags von Cord Riechelmann: Titel "Kein Platz für Gott. Sechs Thesen zum Kampf ums Dasein."

Im Artikel geht es zuerst sehr lange um Sozialdarwinismus, unter anderem auch um die Rolle von Haeckel, der Darwin diesbezüglich besonders missbraucht habe. Riechelmann weist aber auch auf die Notwendigkeit der Trennung von wissenschaftlicher Leistung und Haeckels dogmatischem Ideologismus hin, wenn er schreibt: "Es wäre allerdings genauso fatal, Haeckel mit Begriffen wie »Sozialdarwinist«, »Rassist« oder »Nationalist« – das alles war er auch – abzutun und die Beschäftigung mit seinen Arbeiten einzustellen. Entrüstung hilft in diesem Fall wenig und erklärt nichts. Zu immens war und ist die Wirkung seiner populärsten Werke, des 1899 erschienenen Bandes »Die Welträtsel« und der »Kunstformen der Natur«."

Weiterhin geht Riechelmann auch auf die denkwürdige, prozessartige Streitsitzung vom 30. Juni 1860 in Oxford ein. Hierzu schreibt er u.a.: "Wichtig sind in dem Streit ganz andere Begebenheiten. Darwin hatte in der »Entstehung der Arten« den Menschen ganz ausgeklammert, Huxley hatte aber im Prozess überhaupt keine Schwierigkeiten, sich in einer Abstammungsreihe mit Affen zu sehen. Das ist eine wesentliche Radikalisierung der Darwinschen Lehre, und sie betrifft genau den Teil der Evolutionstheorie, der zum Ende des 19. Jahrhunderts »anthropopo­litisch«, wie der Wissenschaftshistoriker Hans Jörg Rheinberger es nennt, wirksam wurde und zum Beispiel in den Äußerungen Haeckels die kolonialistisch-rassistische Ausformung bekam, die dann auch geschichtlich relevant wurde."

Dann diskutiert der Autor aber auch die selektive Kraft von Schönheit (ua. auch von der Schönheit des artbildenden Gesangs bei Spottdrosseln) sowie die Frage, ob ganz Neues wirklich allein durch Mutationen entstehen kann. Riechelmann schreibt hierzu u.a.: "Die Evolutionstheorie hat nämlich tatsächlich Schwierigkeiten, zum Beispiel die 40fache Entstehung des Auges im Tierreich widerspruchs­frei zu erklären; oder die Existenz von Erscheinungen ohne naturgeschichtliche Vorläufer, wie die der Augenflecken bei Schmetterlingen, aus den Darwinschen Mechanismen von Mutation und Selektion herzuleiten. Wie das Neue in die Welt kommt, das, weil es keine Vorläufer hat, nicht ab­geleitet werden kann, ist mit Darwin nicht zu erklären. Die Naturgesetzlichkeit, wie sie Darwin im Zusammenspiel von Mutationen und natürlicher Auslese bestimmt, lässt am Ende das Neue doch als Vorbestimmtes erscheinen. Sich verändern, also mutieren, kann nur das, was schon da ist." Lieber Herr Riechelmann, ich bin doch eigentlich ein großer Fan Ihrer Artikel, aber "Vorbestimmtes" oder "Ändern kann sich nur das, was schon da ist"?? Da werden sich nicht nur die Kreationisten freuen, sondern da hilft wohl auch nicht, dass sie insbesondere den nichtreligiösen Antidarwinist Vladimir Nabokov zitieren. Nabokov und Sie trauen dem Baukastensystem Evolution und v.a. der geologischen Zeit wohl einfach zu wenig zu, auch wenn Sie sicherlich Recht damit haben, dass sich nicht immer nur das Adaptierteste durchsetzt, sonder nur das besonders Ungeeignete negativ selektiert wird und ein "spielerisches" Element im Sinne der Wahrscheinlichkeitsregeln, also des "Gesetzes der großen Zahlen" eine Rolle spielt. Dass dies eher gemeint ist, ergibt sich aus der nächsten Passage Riechelmanns, wieder bezugnehmend auf Nabokov: "Oder ein anderer Schmetterling imitiert ein Blatt und sieht nicht nur genauso aus wie das Blatt, sondern täuscht durch Schattierungen auch noch Raupenfraß vor. Viele Imitationen haben etwas Unnötiges, übertreffen sie doch das Unterscheidungsvermögen ihrer Fressfeinde bei weitem. Nur mit 'natürlicher Auslese' und dem 'Kampf ums Dasein' lassen sich viele Erscheinungen in ihrer Aufwendigkeit nicht erklären. Neben den Begriff des Nutzens muss noch ein Prinzip des zweckfreien Spielens treten. Nabokov will die schöpferischen Kräfte des Lebens geltend machen. Die Augenflecken der Schmetterlinge haben keine Vorläufer. Und das heißt: Es gibt eine Entwicklung neuer Formen jenseits der Darwinschen Mechanismen von Mutation und Auslese. Darwin selbst hätte diese Folgerungen im Unterschied zu vielen seiner Epigonen nicht bestritten."
Lieber Herr Riechelmann, einigen wir uns darauf, dass die Auslese eben nicht streng preußisch-ordentlich vorgeht, sondern oft auch sehr "tolerant" ist, Variables zulässt, sozusagen spielerisch, welches später als Präadaptation verfügbar ist und dann doch plötzlich preussisch-korrekt positiv selektiert wird? Wir haben ja soo viel Zeit, tausende, ja Millionen von Jahren, da ist es einem schon mal zum Spielen ...

Riechelmann leitet mit den Nabokov-Passagen zu Darwins Spätstudium der Regenwürmer über. Das ist nun wieder überaus pfiffig, denn hier entzieht Riechelmann nun der sozialdarwinistischen Vergewaltigung Darwins den letzten Rest der Rechtfertigung. So schreibt er: "Darwin hat mehrere Experimente zu diesem Verhalten gemacht, die ihn zu dem Schluss gelangen ließen, dass Intelligenz auch bei niederen Würmern vorhanden sei. Intelligenz bei Regenwürmern zu entdecken, das ist Ende des 19. Jahrhunderts – und auch heute noch – entschieden antidarwinistisch. Ge­sellschaftlich war der Darwinismus am Ende des 19. Jahrhunderts rechts in den Dienst der um einen Platz an der Sonne kämpfenden Kolonialmächte getreten und links in die Idee des Fortschritts integriert worden. Man muss sich nur der anfangs zitierten Passagen Haeckels vom nie­deren Stand der »Australneger« bei den Hunden erinnern, um zu sehen, wie weit Darwins Vorstellung von intelligenten Würmern sich vom damals gängigen Darwinismus entfernt. Der Idee der höher schreitenden Entwicklung entzieht er mit der Entdeckung der Intelligenz bei niederen Würmern den biologischen Grund. Das heißt, für Darwin gibt es im Regenwurmbuch keine Linie mehr von dummen niederen Tieren zu geistig hochstehenden Menschen." Da hat Riechelmann Recht, aber das hätte eigentlich jeder schon bei Betrachtung der berühmten "I think"-Skizze Darwins verstehen können. Aber die war wohl nicht künstlerisch genug...

2) Wenn Ihnen dieser gesellschaftliche Einblick in die Zeit Darwins zu unbehaglich war, wie wäre es zur Entspannung (aber dennoch sehr spannend) mit der völlig unerwarteten Einsicht in die Britische Gesellschaft zur Zeit Darwins und danach durch Julia Voss? (dieser Artikel wurde früher schon weiter unten angesprochen, war aber falsch verlinkt, deshalb nochmals hier:
Jim Knopf rettet die Evolutionstheorie (von Julia Voss, FAZ, 18.12.08)



3) Wir wollen ja ausgewogen sein, und der oberste Artikel erschien doch sehr gottlos (eigentlich vor allem in der Überschrift). Wie wäre es deshalb - angeregt von diversen Artikeln mit Titeln wie "Der den Mensch zum Affen machte" - mit der Frage, wie dies eigentlich die bekannteste Menschenaffenforscherin der Welt, Jane Goodall sieht. Welches Menschenbild hat sie denn? Hierzu empfehle ich ein Interview im Cicero.
Darwins narzisstische Kränkung, Interview mit Jane Goodal, Cicero, November 2008.

Hier ein paar Auszüge: "
Ich glaube an Charles Darwins Erkenntnisse über die Evolution der Natur. Für mich bedeutet das aber nicht, dass dadurch die Existenz Gottes in irgendeiner Weise infrage gestellt wird. .... Ich sehe keinen Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion. ..... Affen sind nicht unsere direkten Vorfahren. Affen und Menschen haben denselben Vorfahren, von da aus haben wir uns verschieden entwickelt. .... Aber mit unserem Hirn sind wir, anders als die Affen, in der Lage, Konflikte ohne Gewalt zu lösen."

Und nun die zwei Gretchenfragen: a) Was macht uns zu Menschen? Goodall: "
Die Sprache, mit der wir moralische Entscheidungen treffen können. Damit überlassen wir uns nicht dem bloßen Instinkt." b) Was sind die Unterschiede zwischen Menschen und Schimpansen? Goodall: "Es ist die Fähigkeit, diskutieren und über abstrakte Dinge sprechen zu können, die nicht real existieren, sondern vor unserem geistigen Auge stehen. Diese Befähigung ist es, durch die sich unser Intellekt so explosionsartig weiterentwickelt hat."

Hmm, I think....

Ihr Reinhold Leinfelder

PS: Ach so, Unsere Eingangsfrage - Wer war Darwin? Ja, dazu werden wir uns schon noch näher auslassen, aber eben auf andere Weise - Seien Sie gespannt auf viele Ausstellungen rund um Darwin, näheres siehe www.darwinjahr2009.de sowie demnächst auch hier.

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