Montag, 28. Dezember 2009

Darwin und Weltbilder ein Jahr später - gibt es ein Fazit?

Während der letzten Wochen war berufsbedingt keine Zeit für weitere Blogeinträge, aber nun ist es Zeit, so langsam an ein Fazit des Darwin-Jahrs zu denken. Hierzu finden Sie nachträglich mein (Teil-)Fazit sowie meinen Ausblick (beides aus einem ausgearbeiteten Vortragsmanuskript. Den Vortrag hielt ich schon vor etlichen Monaten an meinem "alten" Gymnasium, in dem ich zur Schule ging und das Abitur machte). Der Text ist damit zwar schon ein paar Monate alt, er hat aber gerade wegen des "Kopenhagen"-Gipfels sowie des Übergangs in das UNO-Jahr der Biodiversität 2010 vielleicht doch eine gewisse Aktualität und schlägt auch ein paar versöhnliche, "nachweihnachtliche" Töne an.

Auszüge aus: (R)evolutionär unseres Weltbildes - Die Evolutionstheorie im Jahre 200 nach Darwin. Von Reinhold Leinfelder

Fazit: Selbstbeschränkung und Kooperation

Aus den Diskussionen und Debatten im Darwin-Jahr 2009 kann man vieles lernen. Den Naturwissenschaften ist dringend eine notwendige Selbstbeschränkung anzuraten: Naturwissenschaften sind zuständig für das Verständnis des „Wie funktioniert die Natur“? Wenn sie vom „Zweck“ reden, machen sie keine existenziell sinnhaften Aussagen, sondern sprechen über biologische Funktionen. Naturwissenschaftler sollten auch akzeptieren, dass es noch offene, vielleicht sogar wissenschaftlich nie lösbare Fragen gibt. Aber auch die Religionen sollten Selbstbeschränkung üben. Wo nachgefragt sind sie zuständig für Sinnfragen und „Metaphysik“. Religionen liegen für mich auf anderen Ebenen als Naturwissenschaften und kommen sich deshalb in aller Regel mit den Naturwissenschaften nicht in die Quere. Naturgemäß sind die Antworten der Religionen nichtwissenschaftlich (wobei ich hier nicht die Religionswissenschaften meine), sondern stellen Glaubensaussagen dar, man kann diese glaubhaft oder gar vernünftig finden oder auch nicht. Ein naturwissenschaftliches Weltbild kann als solches philosophisch reflektiert werden und zu einer persönlichen agnostischen oder atheistischen Weltanschauung erweitert werden, es kann aber auch um ein religiöses Weltbild zur Sinnhaftigkeit der Welt ergänzt werden und dann in eine wissenschaftsoffene, religiöse Weltanschauung münden. Beides ist weder zwingend noch allgemeingültig, sondern eine rein persönliche Entscheidung. Weltanschauliches Missionieren lehne ich von allen Seiten ab, sofern nicht nur ein Überzeugen durch Beispiel und Diskurs damit gemeint ist. Religiöse Traditionen sind allerdings auch Teil unseres Kulturverständnisses. Kulturelle Traditionen sind jedoch nicht sakrosankt, sie müssen natürlich hinterfragbar sein. Speziell für den Schulunterricht wären vielleicht modernisierte Bibelexegesen als Grundlagen für den Religionsunterricht wünschenswert. Es sollte auch durchaus Diskussionen zwischen Religion und Biologie geben, allerdings bei Wahrung der inhaltlichen Abgrenzung. Das Beispiel Kreationismus ist als Thema für entsprechende transdisziplinäre Module geeignet, um gemeinsam sowohl korrektes wissenschaftstheorisches Arbeiten als auch die Metaphysik der Religionen zu behandeln. Insgesamt muss die Evolutionstheorie auch möglichst authentisch vermittelt werden. Hierzu eignen sich Versuche und Beobachtungsreihen im Schulunterricht, Besuche in Universitätslabors sowie Integration von thematischen Schulausflügen in Zoos, botanische Gärten und Naturkundemuseen.


Abb. Hypothetisches Schema der Situationsbezogenheit von Wechselwirkungen zwischen evolutionsbiologischem Erbe und kultureller Evolution. Grün: biologisches Anteile, Orange: kulturelle Erweiterung, Orange um Grün: Kulturelle Überprägung des biologischen Anteils. Hellblau: gesellschaftliche normative „Kontrollkappe“.

a. wesentliche Grundbedürfnisse des Menschen, wie Essen und Schlafen sind selbstverständlich biologisch dominiert. Sie können in einem gewissen Umfang kulturell kontrolliert werden (Verteilung der Nahrungsaufnahme auf Frühstück-, Mittags-, und Abendessen, vegetarische Ernährung; teilweise Nachtarbeit ohne Schlaf), eine normative Kontrolle (z.B. Erwerb statt Raub von Nahrung) ist ebenfalls vorhanden.
b. Wissenschaft und Technik sind stark kulturell dominiert. Zwar verwenden bereits viele Tiere Werkzeuge, diese werden jedoch in der Regel nicht extra hergestellt. Auch ist die wissenschaftliche Neugier sicherlich zum Teil biologisch begründet. Wissenschaft und Technik können als Kulturtechniken in gewisser Weise als verlängerter Arm der biologischen Evolution gesehen werden, denn sie erlauben dem Menschen eine enorme Anpassung an seine Umwelt, auch an sich ändernde Bedingungen. Da die Fortschritte jedoch nicht genetisch, sondern kulturell tradiert werden, stellt diese Form gleichzeitig eine starke Emanzipation von unserem biologischen Erbe dar. Die starke Eigenständigkeit solcher kultureller Prozesse, darunter auch die Forschung benötigt jedoch eine besonders starke normative „Kontrollkappe“. Nicht alles Machbare ist gesellschaftlich sowie für das Überleben der Menschheit sinnvoll.
c. Unser sonstiges zwischenmenschliches und gesellschaftliches Verhalten setzt sich, sicherlich zu unterschiedlichen Anteilen aus biologisch ererbten Grundmustern und deren kulturellen Überprägung zusammen, wobei die kulturelle Überprägung eine stark regulative Wirkung besitzt. Eine normative Kontrollkappe (Gesetze, gesellschaftliche Regeln, ggf. auch religiöse Regeln) ist auch hier notwendig.
d. In speziellen, insbesondere Stresssituationen kann sich das biologische Erbe dominant in den Vordergrund schieben (etwa Aggressivität). Eine normative Kontrollkappe ist sicherlich gerade auch hier notwenig, dennoch erscheint es gerade hier sinnvoll, auch, normativ kontrolliert „Dampf ablassen“ zu können.
Abbildung und Abbildungserläuterung aus Leinfelder [27]



Ausblick: Quo Vadis?


Die Menschheit hat sich durch die menschengemachte Klima- und Umweltkrise den größten Selektionsversuch selbst auferlegt. Das Sterben der Korallenriffe, steigender Meeresspiegel, veränderte Niederschlagsmuster, immense Überfischung und Verlust der genetischen Ressourcen können Milliarden von Menschen bedrohen. Auch zur Bewältigung dieser Krise bedarf es evolutionären Wissens. Zum einen sind Biodiversität, Evolution, Umwelt und Klima eng miteinander vernetzt. Hier gilt es insbesondere, die dynamischen Prozesse von Biodiversitätsänderungen besser erkennen und möglicherweise sogar vorhersagen zu können. Dabei ist das Verständnis auch heute ablaufender Evolutionsprozesse wesentlich, um Reaktionen der belebten Natur auf Klima- und Umweltänderungen sowie mögliche natürliche und kulturelle Anpassungswege prognostizieren und bewerten zu können. Zum anderen benötigen wir für die Bewältigung der Umweltkrise auch eine weitere kulturelle (R)evolution. Seit der Industrialisierung pumpt die Menschheit ungezügelt alle fossilen Energieträger wieder in die Atmosphäre zurück. Kohlendioxid, welches über mehrere hunderte Millionen von Jahren entzogen wurde, wird nun - geologisch gesehen – sozusagen auf einmal als CO2 wieder in die Atmosphäre zurückgeführt. Zusätzlich werden biologische Kohlenstoffspeicher, wie Wälder oder Moore durch uns selbst vernichtet. Der Mensch muss, um die Erde weiterhin auch für die nachfolgenden Generationen nutzen zu können, radikal umdenken. Dazu benötigen wir mehr denn je unseren kulturellen Verstand, für den die biologische Evolution unseres Gehirns die Grundlage geliefert hat: Vor etwa 2,5 Millionen Jahren begann der Urmensch einfachste Steinwerkzeuge zu verwenden, was ihn jedoch kulturell noch nicht sehr vom Tier unterschied. Die erste kulturelle Revolution des Jägers und Sammlers fand vor etwa 600.000 Jahren mit der Bearbeitung von Faustkeilen und Feuergebrauch statt. Vor etwa 10.000 Jahren v. Chr. begann die neolithische Revolution, die uns Ackerbau und Viehzucht sowie im Gefolge den Hausbau brachte. Seit etwa 8000 Jahren v.Chr. breiteten sich Stadtkulturen und mit ihnen das Handwerk und Dienstleistungen, also umfassende Arbeitsteilung aus. Im späten 18 und 19. Jahrhundert erfolgte die Industrielle Revolution. Bleibt nur zu hoffen, dass die nächste, notwendige (R)evolution, eine „Kohlenstoff-Abrüstung“ und mit ihr der Eintritt in ein „postkarbones“, nachhaltiges Industriezeitalter nicht mehr lange auf sich warten lässt [28].

Was nützt unser Wissen über die Evolutionsvorgänge, welche zu Biodiversitätsverlust führen, was nützt es, wenn wir über die Klimaprozesse Bescheid wissen und wissenschaftlich abgesicherte Wahrscheinlichkeitsszenarien zur klimatischen Entwicklung machen können, was nützt es, wenn wir sogar die richtigen Handlungsweisen und Technologien zur Vermeidung beschreiben können, aber diese nicht umsetzen können? Diese Umsetzung muss demokratisch geschehen, aber sie kann damit nur erreicht werden, wenn wir die Auswirkungen unseres Handeln auch über die Generationen hinweg verstehen und dies entsprechend berücksichtigen. Dieser hohe Anspruch kann nur mit Hilfe einer kulturellen Transformation erfüllt werden. Prinzipiell sollten wir dazu fähig sein. Der Mensch ist zwar biologisch ein Tier (bzw. chemisch ein Molekülcocktail), das ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Der Mensch ist zusätzlich eben gerade auch ein Kulturwesen. Die berühmte Menschenaffenforscherin Jane Goodall brachte es zum Eingang des Darwin-Jahrs in einem Cicero-Interview auf den Punkt: „Die Sprache, mit der wir moralische Entscheidungen treffen können, macht uns zum Menschen. Damit überlassen wir uns nicht dem bloßen Instinkt. Es ist die Fähigkeit, diskutieren und über abstrakte Dinge sprechen zu können, die nicht real existieren, sondern vor unserem geistigen Auge stehen. Diese Befähigung ist es, durch die sich unser Intellekt so explosionsartig weiterentwickelt hat“ [29]. Und der leider noch vor dem Darwin-Jahr im August 2008 verstorbene Neurobiologe und Tierphysiologe Gerhard Neuweiler sieht im Menschen eben doch die Krone der Evolution. Allerdings gilt dies nur, wenn wir es auf die Komplexität unseres Gehirns und seiner Fähigkeiten beziehen, denn der Mensch kann weder ohne Hilfsmittel fliegen noch lange tauchen, viele Tiere hören und riechen besser, oder laufen schneller. Aber unser höchst erhobenes Körperteil erlaubte uns die kulturelle Evolution. Neuweiler schreibt: „Im Menschen emanzipiert sich die Evolution, denn er ist das einzige Lebewesen, das die Werkzeuge der natürlichen Evolution in die Hände nehmen und ihr eine eigene humane Welt entgegensetzen kann“ . [30]
Diese humane Welt hat nichts mit einem „Neo-Humanismus“ bzw. „evolutionären Humanismus“ der Szientisten und Biologisten zu tun, welche allen Ernstes als „erklärtes Ziel“ fordern, „den Eigennutz in den Dienst der Humanität zu stellen“. Außerdem soll man zwar nicht lügen, betrügen, stehlen oder töten, „es sei denn es gibt im Notfall keine anderen Möglichkeiten die Ideale der Humanität durchzusetzen.“ [31] Wenn zur Durchsetzung der Ideale eines „Neo-Humanismus“ davon gebraucht gemacht werden sollte, dann rette sich wer kann vor diesem Humanismus. (siehe Anm. 34)

Wie wunderbar hingegen, aus einer Stadt zu stammen und von einer Schule zu kommen, die sich echtem Humanismus verpflichtet fühlt. So wurde schon am 25. September 1555 im Augsburger Reichs- und Religionsfrieden folgendes festgelegt: „Setzen demnach, ordnen, wollen und gebieten, daß fernerhin niemand, welcher Würde, Standes oder Wesens er auch sei, den anderen befehden, bekriegen, fangen, überziehen, belagern, […] [möchte], sondern ein jeder den anderen mit rechter Freundschaft und christlicher Liebe entgegentreten soll“ [32]. Dies schließt sich im aktuellen Schulkonzept des Gymnasiums bei St. Anna, welches ich weiter oben auszugsweise zitiert habe und welches auf Humanismus, Bewusstsein über die Würde des Individuums, auf Notwendigkeit zur Erforschung der Welt, auf Offenheit, Achtung, Toleranz und Respekt des Anderen fokussiert. Hier finden sich Aristoteles, Charles Darwin, Albert Einstein, Jürgen Habermas und Hans Jonas gleichermaßen: Der biblische Auftrag, sich die Erde untertan zu machen schließt sich hier zum „Ökologische Imperativ“ von Hans Jonas (1979): „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“ [33]. Gerade als Naturwissenschaftler bin ich überzeugt, dass uns hier unser evolutionäres Erbe nicht weiterhelfen kann. Wir müssen hier gegen unseren biologisch-evolutionäres Eigennutz-Erbe handeln, denn biologische Evolution und biologisches Eigennutzverhalten können eben nicht weit vorausplanen. Unsere Welt weiter lebenswert zu machen und dabei über Generationen und über die eigenen Gene hinweg vorauszuschauen, ist eine kulturelle Herausforderung, in die unser gesamtes naturwissenschaftliches und kulturwissenschaftliches Wissen mit einfließen muss. Die Aufgabe kann nur gelingen, wenn Schulen wie das Gymnasium bei St. Anna hier die notwendigen Grundsteine legen.

> Zum gesamten Artikel: www.tinyurl.com/darwin-revolution (pdf 3 MB)

Oben verwendete Zitate:
  • 27 Leinfelder, R. R. (im Druck): Epilog: Darwins Erbe für die Zukunft, in: Charles Darwin Die Entstehung der Arten, mit zwei Beiträgen von Alfred Russel Wallace, illustriert, kommentiert und herausgegeben von Paul Wrede und Saskia Wrede, VCH- Wiley Weinheim.
  • 28 siehe hierzu auch: Schellnhuber, H.-J.,, Messner, D., Leggewie, C., Leinfelder, R.R., Nakicenovik, N., Rahmstorf, S., Schlacke, S., Schmid, J. & Schubert, R. (2009): Kassensturz für den Weltklimavertrag.- Sondergutachten, 58 S., Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung, Globale Umweltveränderungen (WBGU), Berlin. http://www.wbgu.de/wbgu_sn2009.html
  • 29 http://www.cicero.de/97.php?ress_id=7&item=3057
  • 30 Neuweiler, G. (2008): Und wir sind es doch - die Krone der Evolution. 253 S., Wagenbach-Verlag, Berlin.
  • 31 Schmidt-Salomon, M. (2006): Manifest des evolutionären Humanismus: Plädoyer für eine zeitgemäße Leitkultur. 196 S., Alibri-Verlag, Aschaffenburg (für die Giordano Bruno-Stiftung).
  • 32 Fide http://de.wikipedia.org/wiki/Augsburger_Reichs-_und_Religionsfrieden , Stand 17.7.2009
  • 33 Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt/M., 1979. Neuauflage als Suhrkamp Taschenbuch, 1984
  • 34 Anm.: Dies ist keine Pauschalkritik an der evolutionären Psychologie bzw. der Soziobiologie, siehe hierzu die Diskussion im Gesamtartikel sowie Abbildung oben. Die Anteile des biologischen Erbes, auch des biologischen Eigennutzfaktors zu verstehen, um alle Verhaltensaspekte des Menschen insgesamt besser zu verstehen ist jedoch etwas völlig anderes, als eine biologistische, gar noch als "evolutionär-humanistisch" bezeichnete Weltanschauung darauf zu gründen.

Sonntag, 20. Dezember 2009

Der Minimalkompromiss von Kopenhagen - Presseerklärung des WBGU


Da wir in diesem Blog auch auf die Kopenhagen-Konferenz eingingen, nachfolgend die Bewertung des Konferenzergebnisses durch den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU)

P R E S S E E R K L Ä R U N G DES WBGU

Der Minimalkompromiss von Kopenhagen:

EIN ZIEL – ABER NOCH KEIN WEG

Berlin/Kopenhagen, den 20. Dezember 2009. Der Klimagipfel von Kopenhagen ist weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Einziges substanzielles Ergebnis war eine Erklärung („Copenhagen Accord“), die von den Regierungschefs der wichtigsten Länder ausgearbeitet und von der ganzen Staatengemeinschaft lediglich „zur Kenntnis genommen“ wurde. Es gab weder den erhofften Aufbruch zu neuen Formen der globalen Zusammenarbeit noch verbindliche internationale Verpflichtungen zur Treibhausgasreduzierung - ganz zu schweigen von Weichenstellungen für den Übergang zu einer klimaverträglichen Weltwirtschaft. Die Europäische Union und die Bundesrepublik konnten sich trotz ernsthafter Bemühungen nicht mit ihren Forderungen nach einem anspruchsvollen Klimaabkommen durchsetzen.

Am Ende des zweiwöchigen Gipfelmarathons steht als einziger Lichtblick eine verklausulierte Anerkennung der 2 Grad Celsius-Leitplanke als Richtschnur aller Klimaschutzbemühungen. Hans Joachim Schellnhuber, der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) bezeichnet dieses Ergebnis als „einen tragischen Triumph der Wissenschaft. Die von der Klimaforschung empfohlene Obergrenze für die globale Erwärmung wird einerseits endlich übernommen, andererseits finden die tatsächlich notwendigen Maßnahmen zur Beachtung der Leitplanke (insbesondere Reduzierung der globalen Emissionen um deutlich mehr als 50 % bis 2050) keine Erwähnung. Insofern gibt es ein Ziel, aber die Wege dorthin bleiben noch im Dunkeln“.

Was fehlt

Die Erklärung von Kopenhagen betont zwar die Notwendigkeit, rasch Treibhausgasminderungen einzuleiten, setzt dabei aber ausschließlich auf freiwillige Beiträge zum Klimaschutz, die die Staaten bis zum 1. Februar 2010 konkretisieren sollen. Dazu Schellnhuber: “Dieses Klingelbeutelprinzip, nach dem jeder gibt, was er für angemessen hält, hat schon vor Kopenhagen keine hinreichenden Ergebnisse erbracht. Summiert man die derzeit vorliegenden Klimaschutzangebote aller Staaten auf, dann bewegen wir uns auf eine 3-4-Grad-Welt mit kaum beherrschbaren Risiken zu.“ Daraus folgt, dass die Staaten in den Klimaverhandlungen 2010 kräftig nachlegen müssen, wenn ein gefährlicher Klimawandel noch abgewendet werden soll. Der WBGU unterstützt ausdrücklich die Forderungen von Kanzlerin Merkel und Umweltminister Röttgen, jetzt gerade die nationalen und internationalen Bemühungen um Klima- und Energiesicherheit zu verstärken.

In Kopenhagen wurde wertvolle Zeit für den Klimaschutz verspielt. Eine nüchterne wissenschaftliche Analyse zeigt, dass die globale Trendumkehr bei den Treibhausgasemissionen zwischen 2015 und 2020 geschafft sein muss – ansonsten bleiben kaum noch realistische Chancen, die 2-Grad-Linie zu halten. Dirk Messner, stellvertretender Vorsitzender des WBGU, meint: "Der bisherige Verhandlungsmodus rettet das Klima nicht. Selbst die zahlreich erschienenen Staats- und Regierungschefs konnten die Verhandlungsblockade nicht überwinden. Ohne erneute klimapolitische Kraftanstrengungen besteht die Gefahr, dass die Verhandlungen im kommenden Jahr im Schneckentempo weiterlaufen. Im schlimmsten Fall zerfiele die Welt in Interessensgruppen, die im Klimaschutz eigene Wege gehen. Deshalb ist 2010 ein Neustart in der internationalen Klimapolitik notwendig."

Was zu tun ist

Aus Sicht des WBGU sollten die Bundesregierung und die Europäische Union nun in zwei Richtungen agieren: Einerseits gilt es, Bündnispartner zusammenzuführen, um nächstes Jahr doch noch ein anspruchsvolles Klimaabkommen zustande zu bringen. Als Grundlage für diese Verhandlungen könnte der vom WBGU vorgeschlagene Budgetansatz dienen, ein einfaches, transparentes und gerechtes Konzept zur internationalen Lastenteilung für den Klimaschutz. Chinesische,japanische und indische Klimaberater hatten in Kopenhagen verwandte Ansätze vorgelegt. Der Kerngedanke des Konzeptes besteht darin, ein mit der 2 Grad-Leitplanke verträgliches globales Treibhausgasbudget zu bestimmen und dieses auf der Grundlage gleicher Emissionsrechte für alle Menschen auf nationale „kumulative Kohlenstoffkredite“ herunterzubrechen. Hochemissions- und Niedrigemissionsländer würden bei diesem Ansatz Verschmutzungsrechte gegen Klimatechnologien und Finanztransfers handeln um Spielräume über die Nationalbudgets hinaus zu schaffen. Der Ansatz verbindet ökonomische Effizienz mit einer globalen Entwicklungspartnerschaft und nimmt zugleich alle Staaten, auch die Schwellenländer, in die klimapolitische Verantwortung. Der WBGU argumentiert: „Gerade nach den enttäuschenden Ergebnissen von Kopenhagen müssen neuartige und operationalisierbare Ansätze auf die Verhandlungstische.“

Anderseits müssen nun – gerade wegen des drohenden Schwebezustandes in der internationalen Klimadiplomatie – Nachhaltigkeitsinitiativen von unten verstärkt werden, um den Übergang in eine klimaverträgliche Weltwirtschaft zu beschleunigen. Deutschland und Europa sollten in öffentlich-privaten Allianzen ihre Forschungsanstrengungen und Investitionen hinsichtlich erneuerbarer Energien und klimaverträglicher Mobilitätskonzepte massiv erhöhen. Europäische Städte könnten beispielsweise in internationalen Partnerschaften klimaverträgliche Stadtentwicklungen vorantreiben, insbesondere mit Vorreitern wie Sao Paolo oder Seattle, die bereits anspruchsvolle Klimaziele formuliert haben. Die europäische Entwicklungspolitik sollte klimaverträgliches Wirtschaften zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit machen. Technologie-, innovations- und energieorientierte Klimapartnerschaften mit China, Indien und anderen Schwellenländern könnten forciert werden. Aus Sicht des WBGU sollten auch die Zivilgesellschaft und die Wirtschaft ihren Druck für eine ehrgeizige und verbindliche globale Klimapolitik aufrechterhalten und
damit vor allem die verantwortungsbewussten Regierungen unterstützen. Der WBGU sieht Chancen, auf diesem Weg ein grenzüberschreitendes regionales und globales Netzwerk „klimapolitischer Vernunft“ zu schaffen, in dem öffentliche und private Akteure die Weichenstellungen vorantreiben, zu denen sich die Staats- und Regierungschefs in Kopenhagen nicht durchringen konnten.

Rückfragen an: wbgu@wbgu.de oder 030-26394812.
Website des WBGU www.wbgu.de (mit herunterladbaren Materialien, u.a. Sondergutachten zum Budgetansatz, Fact Sheets zur 2-Grad-Leitplanke sowie zum Budgetansatz etc.

Dienstag, 8. Dezember 2009

Klima als Selektionsfaktor - ein Interview zu Kopenhagen

Klima sucht Schutz

Drei Fragen zum Klimagipfel in Kopenhagen. Beantwortet von Reinhold Leinfelder
Aus www.klima-sucht-schutz.de vom 6.12.09:



1. Welcher Aspekt des Klimawandels wird bei der öffentlichen Diskussion in 
Deutschland bisher vernachlässigt?

Noch sehr wenig öffentlich berücksichtigt ist die enge Verbindung zwischen Biosphäre und Klima. So verschieben sich Ökosysteme bei Klimaerwärmung nicht einfach weiter polwärts oder in größere Höhen, sondern es kann zu einem kompletten Umbau kommen. Des Weiteren werden kumulative Effekte und "Kippelement-Reaktionen" zunehmen. Dies bedeutet, dass bei Erreichen eines bestimmten klimatischen Schwellenpunkts ganze Kaskaden von irreversiblen und sehr raschen Änderungen auftreten können – der berühmte letzte Tropfen bring das Fass zum Überlaufen. 

Ein Beispiel sei genannt: Gesunde Korallenriffe vertragen ohne weiteres eine vorübergehende Überhitzung des Wassers, sie werden zwar geschädigt, aber erholen sich davon. Andere, die bereits an Übersäuerung – auch ein Klimaeffekt –, Überdüngung oder Überfischung leiden, können beim selben kleinen Überhitzungsereignis komplett kollabieren. Auch gesunde Riffe können kollabieren, wenn die Überhitzungsereignisse einfach zu oft auftreten und die Regenerationszeiten dazwischen zu kurz werden. Die umfassenden Ökosystemgüter und -dienstleistungen der Korallenriffe für die Menschen sind natürlich davon betroffen – neuere Arbeiten gehen von einem ökonomischen Nutzen der Korallenriffe von ca. 270 Milliarden Euro pro Jahr aus. Umso wichtiger ist es, jetzt endlich zu einer umfassenden Reduktion des anthropogenen CO2 zu kommen, um das 2 °C-Ziel einzuhalten.


2. Was wäre aus Ihrer Sicht die wirkungsvollste Klimaschutzmaßnahme auf internationaler Ebene? 



Die atmosphärische CO2-Wanne ist schon sehr voll, aber der Abfluss ist viel kleiner als der Zulauf, deshalb muss dieser Zulauf ganz stark zurückgedreht werden. An der umfassenden Reduktion von anthropogenem CO2 führt kein Weg vorbei, denn CO2 akkumuliert wegen seiner langen Verweildauer in der Atmosphäre über hunderte und tausende von Jahren. Hierzu müsste eine völkerrechtlich verbindliche Vereinbarung zur Einhaltung des 2-Grad-Temperaturziels sowie ein einfacher, transparenter und gerechter Verteilungs- und Handelsmechanismus, etwa wie ihn der WBGU vor kurzem vorgeschlagen hat.

Außerdem müssen eventuelle Schlupflöcher gestopft werden. Deshalb sollte sich der Emissionshandel auf fossiles CO2 beschränken. Es ist schon eine gute Idee, dass auch Gelder an arme Länder fließen können, wenn diese keine Wälder mehr abholzen. Die REDD-Regelung (Reduktion von Emissionen aus Entwaldung und Schädigung von Wäldern) soll dies gewährleisten, nur ist bei Gegenverrechnung mit fossilem CO2 Missbrauchsgefahr gegeben. Man könnte nämlich einige Waldgebiete unter REDD-Schutz stellen, dafür Gelder kassieren, aber die ungeschützten Wälder drumherum abholzen, das wäre eine klassische Milchmädchenrechnung. Auch dürfen keine Länder die Leidtragenden sein, die bislang schon, wie etwa Costa Rica deutlich mehr Wälder unter Schutz gestellt haben und deshalb von den neuen Regelungen gar nicht mehr profitieren könnten.

Auch andere Querverrechnungen, etwa durch Reduktion anderer Treibhausgase, oder durch Berücksichtigung früher nicht verwendeter Emissionsanteile sollten nicht möglich gemacht werden. Zwar ist es notwendig, auch Methan, Lachgas und andere Treibhausgase zu reduzieren, wegen der Kurzlebigkeit etwa von Methan, ist der Effekt jedoch langfristig wesentlich geringer als bei der Reduktion von CO2, weshalb man hier nicht mit CO2-Äquivalenten rechnen sollte. Wie "kreativ" die Schlupflochsuche ist, zeigt ein weiterer Vorschlag Indonesiens, doch nationale Meeresflächen der Länder als CO2-Senken anerkennen zu lassen und dies in den CO2-Budgethandel mit einbauen zu können.



3. Ich glaube nicht an wirkungsvolle Ergebnisse des Gipfels, weil...

...es momentan mit Kopenhagen nicht sehr gut aussieht. Aber vielleicht ist die derzeitige Situation auch eine Chance, allerdings nur, wenn Schlüsselländer wie USA, China, Indien und natürlich die EU-Vertreter wirklich mit ihren Spitzen nach Kopenhagen kommen, und doch mehr im Koffer haben, als sie derzeit aus taktischen Gründen vielleicht zugeben. Eine verbindliche Vereinbarung zum 2-Grad-Ziel wäre ein großer Durchbruch, und könnte als Zielvorgabe ermöglichen, in Nachverhandlungen ein gerechtes, transparentes und einfaches Regelwerk auszuhandeln.

Befürchtungen wecken aber auch die nun stark zunehmenden Diskussionen auch von Seiten mancher technologisch orientierten Wissenschaftler, ob denn das 2-Grad-Ziel wirklich so wichtig sei bzw. überhaupt noch umzusetzen sei. Maßnahmen des Geoengineerings, etwa das dauerhafte Einbringen von Schwefelartikeln oder Spiegelflittern in die Atmosphäre zur Reduzierung der Sonneneinstrahlung auf der Erde werden genannt, aber auch die Forderung nach Akzeptieren der Klimaänderung, woraus sich nun zu fördernde technologische Anpassungsmöglichkeit durch Höherverlagerung von Dämmen, schwimmenden Städten, gentechnisch dominierter Welternährung etc. ergäbe. Derartige Vorstöße könnten in einem gefährlichen Relativismus bzw. einer falschen Technologiegläubigkeit resultieren.
Um nicht missverstanden zu werden: um gewisse Anpassungsmaßnahmen werden wir nicht herum kommen, auch 2 Grad (gemittelte) globale Temperaturerhöhung macht dies nötig. Aber Anpassungen allein werden nicht ausreichen, Vermeidungen von anthropogenem CO2-Ausstoß und damit der Aufbruch in ein überwiegend "postkarbones" Zeitalter müssen nun endlich eingeläutet werden.

Prof. Dr. Reinhold Leinfelder ist Geologe, Geobiologe und Paläontologe, in seinen aktuellen Forschungen beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit Riffen, Umweltveränderungen und neuen Methoden des Wissenstransfers. Seit 2006 steht er dem Museum für Naturkunde in Berlin als Generaldirektor vor. Er ist Vorsitzender des Konsortiums "Deutsche Naturwissenschaftliche Forschungssammlungen", Gründungsmitglied des Geo-Bio-Zentrums an der Universität München sowie Korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Seit 2008 gehört er dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) an.


Der Webdienst Klima sucht Schutz ist vom Bundesumweltministerium gefördert und bietet unter anderem ein Themenspezial zum Klimagipfel in Kopenhagen, Kurzinformationen zum Klimawandel, umfassende Energiespartipps, sowie Anregungen für Mitmachprojekte.
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Adam, Eva und die Evolution - Kreationismus auf dem Vormarsch

Der SWR produzierte einen aktuellen Beitrag zum Thema Kreationismus, welcher am 19. und 21.11.2009 ausgestrahlt wurde und am 26.11. sowie 3.12.09 vom WDR übernommen wurde.

Der Beitrag ist auf www.planet-schule.de eingestellt und dort folgendermaßen anmoderiert:

"Der Mensch als Krone der Schöpfung, von Gott vor ungefähr 6000 Jahren erschaffen oder das Produkt von Millionen Jahren Evolution? Kreationisten glauben an die Wahrheit der biblischen Schöpfungsgeschichte und lehnen die Evolutionstheorie ab. In den USA pilgern sie ins "Creation Museum", wo sie ihre Sicht vom Anfang des Lebens bestätigt sehen. In Deutschland bezieht vor allem die Studiengemeinschaft Wort und Wissen Stellung gegen die gängige Lehrmeinung. Christliche Bekenntnisschulen gestalten den Biologieunterricht evolutionskritisch. Warum wird dieses Thema auch noch 150 Jahre nach Charles Darwins "Entstehung der Arten" so kontrovers diskutiert? An Schauplätzen in Deutschland, Nordamerika und dem Vatikan, beleuchten wir die aktuelle Diskussion pro und contra Evolution, sprechen mit Evolutionsgegnern, Wissenschaftlern und Theologen."
> zum Beitrag

Der Film ist außerdem, in drei Teilen, in youtube abrufbar. Siehe nachfolgende Verlinkungen:

Teil 1:



Teil 2:



Teil 3:



Wer also nicht auf der Podiumsdiskussion zwischen Wissenschaftlern und Kreationisten in Stuttgart dabei war und dennoch wissen will, wie Kreationisten argumentieren, sollte sich diesen Film ansehen.
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Und hier noch ein weiterer TV-Tipp, ebenfalls auf planet-schule.de hinterlegt:
Darwins Erben, gesendet wiederum auf SWR und WDR zwischen 12.11. und 2.12.2009:

Anmoderation aus www.planet-schule.de:
"Charles Darwin, eine Ikone der Wissenschaft, ist längst ein Fall fürs Museum. 200 Jahre nach seinem Geburtstag und 150 Jahre nach seinem Werk über die "Entstehung der Arten" machen sich zwei Forscher aus dem Naturkundemuseum in Berlin auf die Spuren seiner Arbeit. Auf Sulawesi -eine der vielen Inseln Indonesiens - versuchen sie herauszufinden, wie einzelne Tier- und Pflanzenarten entstehen. Der 30-minütige Film zeigt an Beispielen die teilweise mühselige Arbeit der Wissenschaftler und ermöglicht so einen Einblick in aktuelle Forschung. Dabei werden die einzelnen Sequenzen filmisch immer wieder verwoben mit Darwins seinerzeit bahnbrechenden Erkenntnissen."
>> zum Film



Viel Spaß,

Ihr
Reinhold Leinfelder