Freitag, 27. November 2009

Charles Darwin und das Insekt des Jahres 2010

von Reinhold Leinfelder

So unbekannt vielen vielleicht das Insekt des Jahres 2010 ist, für Charles Darwin war es bereits ein faszinierendes "Geschöpf". Aber der Reihe nach:

Gestern wurde im Museum für Naturkunde Berlin der Ameisenlöwe zum Insekt des Jahres 2010 gekürt. Die Wahl zum Insekt des Jahres ist eine Kooperation zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Schirmherrschaft hat Dr. Johannes Hahn, Österreichischer Bundesminister für Wissenschaft und Forschung (Wien) übernommen. Das Insekt des Jahres wurde das zwölfte Mal proklamiert und soll auf diese besondere Tiergruppe hinweisen, die in der Bevölkerung häufig nur als lästig, z.B. Wanzen und Mücken, und nur in wenigen Fällen als schön empfunden wird, nämlich Schmetterlinge. Insekten sind die größte Tiergruppe überhaupt. Schätzungen gehen davon aus, dass über 80 % aller Tiere Insekten sind.

Aus der Pressemeldung vom 27.11.09:

Versteckter Räuber: Ameisenlöwe Insekt des Jahres

Berlin (dpa) - Ein winziger Räuber kommt ganz groß heraus: Der Ameisenlöwe ist das Insekt des Jahres 2010. Menschen bekommen den nur etwa 17 Millimeter kleinen Jäger kaum je zu Gesicht. Und wenn die Beute, meist Ameisen und andere kleine Tiere, dem Insekt zu nahe kommt, ist es schon zu spät.

Dann schnappt der Ameisenlöwe in dem Sandtrichter, den er sich geschaufelt hat und in dem er sich versteckt, mit seinen Zangen unerbittlich zu. Gleichzeitig injiziert er ein lähmendes Gift in sein Opfer. Trotz dieser raffinierten und erfolgreichen Fangmethode ist der Ameisenlöwe europaweit stark in seinem Bestand gefährdet, wie das Kuratorium «Insekt des Jahres» am Freitag in Berlin mitteilte.

Die tückische Stärke des Insekts ist es, dass es sich binnen Sekunden rückwärts in Sand eingraben kann. Dort wartet das Tier darauf, dass seine Nahrung in den meist steil angelegten Sandtrichter fällt, aus dem es dann kein Entkommen mehr gibt. Die Neigung ist so steil, dass ein Fluchtversuch oft nur damit endet, dass die Beute noch tiefer hineinrutscht in den Schlund. (> weiterlesen)

Charles Darwin und der Ameisenlöwe:

Weniger bekannt ist, dass Charles Darwin ebenfalls vom Ameisenlöwen fasziniert war. Insbesondere, als er im Januar 1836 in Australien das ihm von England gut bekannte Insekt fand, gleichzeitig aber auch ihm sehr fremdartig erscheinende Tiere, wie das Schnabeltier beobachtete, ging er - damals noch ziemlich vom physikotheologischen Schöpfungsglauben geprägt - von einer Schöpfung Gottes aus und diskutierte sogar eine doppelte Schöpfung. So schrieb er in seinem Tagebuch für den 19. Januar 1836:

"...I had been lying on a sunny bank & was reflecting on the strange character of the animals of this country compared to the rest of the World. An unbeliever in everything beyond his own reason might exclaim, "Surely two distinct Creators must have been at work; their object is the same & certainly the end in each case is complete". Whilst thus thinking, I observed the conical pitfall of a Lion-Ant:- a fly fell in & immediately disappeared; then came a large but unwary Ant. His struggles to escape being very violent, the little jets of sand described by Kirby (Vol. I. p. 425) were promptly directed against him.- His fate however, was better than that of the fly's. Without doubt the predaecious Larva belongs to the same genus but to a different species from the [European] kind.- Now what would the Disbeliever say to this? Would any two workmen ever hit on so beautiful, so simple, & yet so artificial a contrivance? It cannot be thought so. The one hand has surely worked throughout the universe. A Geologist perhaps would suggest that the periods of Creation have been distinct & remote the one from the other; that the Creator rested from his labor." (> Quelle)

In der gedruckten Form erschien dies 1839. In der darauf basierenden deutschen Ausgabe von 1844 (Charles Darwin's naturwissenschaftliche Reisen, übersetzt von Ernst Dieffenbach, Erster Theil, Verlag Friedrich Vieweg und Sohn, Braunschweig) heißt dies dann so, man beachte die leicht unterschiedlichen weltanschaulichen Passagen:



Interessanterweise wurde diese Passage in späteren Auflagen in eine Annotation verbannt und auch teilweise geändert. So lautet dieser Text in der 2009 erschienenen Neuübersetzung, welche auf der 1845 erschienenen 2. englischen Auflage basiert (Charles Darwin, die Fahrt der Beagle, mit einer Einleitung von Daniel Kehlmann, Deutsch von Eike Schönfeld, Fischer Taschenbuch Verlag) folgendermaßen (Annotation 5, 19. Kap.):

"Interessanterweise fand ich hier die hohle, konische Fallgrube des Ameisenlöwen oder eines anderen Insekts; erst rutschte eine Fliege den tückischen Hang hinab und verschwand sogleich, dann kam eine große, aber arglose Ameise; da ihr Kampf ums Entrinnen sehr heftig war, wurden jene eigenartigen kleinen Sandstrahlen, die Kirby und Spence beschrieben haben (Entomology, Bd. I, S.425) und die vom Schwanz des Insekts geworfen werden, prompt auf das erwartete Opfer gerichtet. Doch der Ameise wurde ein besseres Schicksal zuteil als der Fliege; sie entkam den tödlichen Fängen, welche am Grund der konischen Höhlung verborgen lagen. Diese australische Fallgrube war nur ungefähr halb so groß wie jene des europäischen Ameisenlöwen."

Hier ließ Darwin also sämtliche weltanschaulich-religiösen Anmerkungen weg und beschränkte sich auf die naturwissenschaftliche Analyse.

Schon 1836 hat also Charles Darwin die Mission des Insekt des Jahres 2010 vorweggenommen und auf dieses interessante Insekt (genauer: Insektenlarve, das erwachsene Insekt heißt Ameisenjungfer) hingewiesen.

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