Montag, 2. Februar 2009

Lefebvre-Sekte vertritt auch Kreationismus

(aktuelle Nachträge vom 4.-6.2. sowie vom 24.7.09 am Ende dieser Seite)




Die Ex-Exkommunizierung von vier extrem rechtskonservativen Bischöfen der Piusbruderschaft durch den Papst ist auch für die Diskussion zwischen Naturwissenschaften und Kirchen ein echter GAU, denn die Piusbruderschaft vertritt offensichtlich auch offen einen die Bibel wörtlich auslegenden Kreationismus. Kardinal Lehmann, sein Schüler Priester Tonke Dennebaum ("Urknall, Evolution, Schöpfung"), Christian Kummer SJ ("Der Fall Darwin - Evolution kontra Schöpfungsglaube"), Ulrich Lüke ("Das Säugetier von Gottes Gnaden"), der frühere und derzeitige Leiter der Vatikanischen Sternwarte, die Jesuiten George Coyne und José Gabriel Funes, und viele mehr, die Evolutionswissenschaften und katholischen Glauben als vereinbar ansehen, müssen sich düpiert fühlen. Papst Benedikts Vorgänger Papst Johannes Paul II sagte u.a. im Jahr 2004 "Evolutionslehre widerspricht nicht der katholischen Schöpfungslehre". Auch im heutigen katholischen Katechismus für Erwachsene steht: "Theologie ... weiß heute, daß die Bibel sich in ihrer Ausdrucks- und Vorstellungsweise des Weltbilds der damaligen Zeit bedient, das als solches für uns nicht verbindlich ist. Ihrer Aussageintention nach will uns die Bibel nicht über die empirisch erkennbare Entstehung der Welt und der verschiedenen Arten der Lebewesen unterrichten."

Der Generalobere der deutschen Piusbruderschaft beeilte sich zwar, sich von Holocaust-Leugner "Bischof" Richard-Williamson zu distanzieren, aber auch noch nach der Wiederintegration der Lefebvreisten in die katholische Kirche war noch ein ultrakreationistisches Video auf den Webseiten der deutschen Piusbruderschaft zu sehen.

Es handelte sich um den 45-Min-Film "Hat die Bibel doch Recht? Der Evolutionstheorie fehlen die Beweise".
(Bilder ggf. zum Vergrößern anklicken)


Rezensionen zu diesem und ähnlichen pseudowissenschaftlichen Filmen Poppenbergs sowie der Strategien, hier zu Aussagen von Wissenschaftlern zu kommen, finden sich u.a. hier:
http://www.evolutionsbiologen.de/skeptiker%2001-05.pdf
http://www.evolutionsbiologen.de/rez-affenmensch.pdf
http://www.martin-neukamm.de/poppenberg2.html

Oben finden Sie zwei Screenshots dieser Webseite der Piusbruderschaft vom 27.1.2009:
http://www.fsspx.info/media/Flash/Diversa/index.php?file=Evolution.flv&image=Evolution.jpg

Das Video war danach plötzlich verschwunden. Ein heutiger Aufruf (vom 2.2.09) zeigt weder den Eintrag unter dem Video (siehe screenshots oben) noch den Film selbst. Beim Anklicken des leeren Filmtemplats wird der Filmname allerdings noch angegeben (siehe links). Mal abwarten, ob der Film gar wieder auftaucht.

Erfreulich erscheinen mir die vehementen Reaktionen katholischer Geistlicher gegen diese Rehabilitierung der Lefebvre-Sekte durch den Papst, aber die katholische Kirche wird es wieder schwerer haben, deutlich zu machen, dass sie am Top und in den Außenrändern nicht kreationistisch ist. Schade, der Sache wegen.



Bleibt nur zu hoffen, dass die katholische Kirche im Darwin-Jahr möglichst rasch unmissverständlich klar macht, dass sie auch weiterhin keinerlei Probleme mit der Akzeptanz der Evolutionswissenschaften hat. Über alles andere würden sich insbesondere die Kreationisten freuen, und ihre die Keilstrategie zur Spaltung der Gesellschaft würde ein Stück weiter aufgehen. Also, sehr geehrte deutsche katholische Bischöfe, sehr geehrte Priester, schreibt an den Papst und überzeugt ihn, seinen absolut missverständlichen Schritt der Anerkennung einer in Nähe der "Neuen Rechten" stehenden pseudokatholischen Sekte wieder rückgängig zu machen. Auf Sie wird er hoffentlich hören.

Nachtrag vom 4.2.09: Der Planckton-Blog der FAZ verweist auf ein weiteres interessantes, rückwärtsgewandtes Dokument der deutschen Lefebvre-Sekte, siehe hier.

Nachtrag vom 5.2.09: Die Reaktionen der meisten deutschen katholischer Bischöfe sind erfreulich eindeutig. Völlig unverständlich erscheinen mir jedoch die Reaktionen mancher katholischer Theologen auf die deutlichen Worte der Bundeskanzlerin.
Der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke hält die Papst-Kritik Merkels für "unbegreiflich und empörend", der Freiburger Theologieprofessor Hubert Windisch meinte sogar, Merkel sei für deutsche Katholiken nun nicht mehr wählbar. Da frage ich mich nun, wen die deutschen Katholiken noch wählen sollen, denn auch SPD-Parteichef Franz Müntefering verteidigte die Bundeskanzlerin (Quelle: u.a. DIE WELT vom 5.2.09). Und die Grünen sowie die FDP haben den Papst auch kräftig kritisiert. (Quelle Tagesschau) Sollen die ganzen Katholiken nach Bayern umziehen, um die CSU zu wählen? Geht nicht und auch dort gab es Kritik. Fällt Ihnen noch eine weitere Partei ein? Die Linken haben auch kräftig protestiert, also auch nix, aber da gibt es doch noch eine Partei.....!? Prof. Windisch sollte wirklich besser überlegen, was er sagt und die Katholiken nicht pauschal in sehr enge und schräge Ecken rücken. Immerhin, sehr erfreulich, dass von "Robert Zollitsch, dem ungewohnt locker agierenden Vorsitzenden der Bischofskonferenz, zu hören [war], dass es sich bei der Piusbruderschaft um nichts anders handele als um Fundamentalisten und dass er früher oder später mit ihrer endgültigen Abspaltung rechnet" (Zitat aus ksta.de)


Nachtrag vom 6.2.09: Das "Forum Grenzfragen", ein Expertenkreis an der katholischen Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart hat einen sehr informativen und gut recherchierten Beitrag zur Piusbruderschaft verfasst. Textausschnitte aus dem Artikel "
Traditionalismus als Dialoghindernis" von Heinz-Hermann Peitz
"Der Gründer der Piusbruderschaft, Marcel Lefebvre, sah im Konzil ein Werk des Satans, das die Kirche dem Modernismus übergibt.....
onkreter auf den Dialog mit den modernen Wissenschaften bezogen kritisiert Lefebvre in seinem berühmt gewordenen „Manifest“ die konziliaren und nachkonziliaren Reformen: „Alle diese Reformen haben in der Tat an der Zerstörung de
r Kirche, … am naturalistischen und teilhardistischen Unterricht an den Universitäten, in den Priesterseminaren und in der Katechese beigetragen und weitergewirkt. ....
Die Frontstellung gegen Teilhard de Chardin ist für den Kommentator und damaligen Befürworter Lefebvres, Rudolf Krämer-Badoni, selbstverständlich. Krämer-Badoni sieht sich zur Feststellung gemüßigt,
dass der – wie er es nennt – „Teilhardismus“ in Frankreich „den größten Einfluss aus[übt], diese dilettantische Lehre des jesuitischen Paläontologien Teilhard de Chardin, wonach ‚wissenschaftlich’ eine unausweichliche organische und moralische Evolution den ganzen Kosmos durchherrscht, während zwecks Versöhnung der Wissenschaft mit dem Glauben Gott als Weltseele, der eschatologische Christus als evolutionärer Zielpunkt, der Mensch schließlich als automatisch Mitwirkender an dieser unausweichlichen Evolution erscheinen“..... ‚Und so ist auch Teilhard zu Ehren gekommen!’ – derselbe Teilhard, über den das heilige Offizium noch 1962 befand, alle Oberen hätten die Aufgabe, ‚die Geister – namentlich die jungen Menschen – vor den in den Werken Pater Teilhard de Chardins und seiner Anhänger enthaltenen Gefahren zu schützen’. Aber da ja laut Rahner Modernismus nur ein ‚gehässiges Schimpfwort’ ist und laut Peter Neuner … eine Anzahl modernistischer Thesen, die Anfang des Jahrhunderts ‚als häretisch verfolgt wurden’, im letzten Konzil ‚ihren Platz gefunden haben’, nimmt es nicht Wunder, dass wir auch den Ausbund des Neomodernismus, diesen Teilhard, im Konzil rezipiert sehen.“ .... Die Traditionalisten mögen manche Probleme zu Recht benennen, aber ihre Lösungsrezepte können nicht überzeugen. „Vielmehr fördern sie die Polarisierung, weil die Extreme sich gegenseitig erzeugen und steigern“(6). Nur zu gut ist eine solche Polarisierung in den letzten Jahren an den Konflikten um Kreationismus und ‚neuem’ Atheismus nachzuzeichnen gewesen. An dieser Stelle zeigen sich sogar Gemeinsamkeiten von Kreationismus, der eher dem protestantischen Fundamentalismus zuzurechnen ist, und katholischem Traditionalismus: „Beide entstanden als Reaktion auf die sich säkularisierende Gesellschaft … Beide stellen eine Synthese von theologischen und ideologisch-politischen Optionen dar, die auf die Aushöhlung traditioneller Autoritäten reagieren … Beide tragen ihre Auffassungen in ungewöhnlich polemischer Weise vor“(7). Alles in allem: Eine Hinwendung zum Traditionalismus wäre eine Abwendung vom Dialog, auch vom interdisziplinären Dialog." (gesamten Beitrag von Heinz-Hermann Peitz lesen)

Vorsorglich sei erwähnt, dass im
Vergleich zur unsägliche Leugnung des Holocaust eine kreationistische Weltanschauung natürlich harmlos ist, hier soll keinesfalls Kategorien verwechselt werden. Dieser Blog und die darin zitierten oder wiedergegebenen Quellen haben ausschließlich zum Ziel, bestimmte katholische Gruppen vor falschem Relativismus zu warnen. Holocaust-Leugnung ist eine unerträgliche, in Deutschland nicht hinzunehmende Straftat. Aber der Rest der Piusbruderschaft ist meines Erachtens ebenfalls nicht kompatibel mit einer modernen Kirche, die in einer säkularen Welt beheimatet ist. Weltanschaulich sind sie im Mittelalter stehen geblieben. Bleibt zu hoffen, dass der Vatikan, bei aller Toleranz, die sich für alle weltanschaulichen Gruppen anbietet, hier dennoch die notwendigen Grenzen zieht. Nur dann wird der Papst die katholische Kirche zusammenhalten können.

Ebenfalls sei nochmals vorsorglich erwähnt, dass dieser gesamte Blogeintrag ausschließlich die persönliche Meinung des Autors repräsentiert. Mit meiner beruflichen Tätigkeit besteht nur insofern Verbindung, als dass sich Naturkundemuseen, darunter das Berliner Museum für Naturkunde gegen Wissenschaftsfeindlichkeit positionieren. Wissenschaftsfeindlichkeit ist jedoch leider noch das Wenigste, was man der Piusbruderschaft vorwerfen kann. Durchaus nachvollziehbar, dass das ZDF im heute-journal heute zur Piusbruderschaft unter dem Titel "Ein Fall für den Verfassungsschutz?" berichtete.
R. Leinfelder, 6.2.09

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Nachtrag vom 24.7.2009:

Ganz schön dreist: Wieder gibt es Kreationistenvideos auf den Webseiten der deutschen Piusbruderschaft. Diesmal werden allerdings nur kurze Reklamevideos für zwei kreationistische Poppenfilme-Filme direkt auf der Seite eingebettet. Gleichzeitig wird ein Link zum Kauf der Filme angegeben.
Film 1 nennt sich "Dem Geheimnis des Lebens nahe". Hier wird der Intelligent Design-Kreationismus als innovative Wissenschaft dargestellt.
Film 2 ist der oben genannte Titel "Hat die Bibel doch recht?" Im auf den Webseiten dargestellten Trailer wird dem rbb (Rundfunk Berlin Brandenburg) Zensur dieses Filmes vorgeworfen.

Diese Reklamevideos finden sich unter
http://www.piusbruderschaft.de/multimedia/video/publikationen (Stand 24.7.09)
Screenshot vom 24.7. aus dieser Seite (zum Vergrößern draufklicken) :

Zum Kauf verlinkt wird auf die Seiten ein
es Sarto-Verlags, der ist laut Impressum ebenfalls von der Piusbruderschaft betrieben. So findet sich unter
http://shop.sarto-verlag.de/shop_content.php?coID=4&XTCsid=57c624f36120cdde8801e222f4cd253e
folgender Eintrag:

Sarto Verlag
Stuttgarter Straße 24
D-70469 Stuttgart

Tel. +49-(0)-711-89692979
Fax: +49-(0)-711-89692980
Ansprechpartner für Verlagsangelegenheiten: H.H.Pater Andreas Mählmann FSSPX
Träger: Vereinigung St. Pius X. e.V.
Registereintrag beim zust. Amtsgericht München: VR 8540
Gerichtsstand: Stuttgart
(Hinweis: FSSPX ist ein Kürzel für die Piusbruderschaft, so ist www.piusbruderschaft.de gleichermaßen unter www.fsspx.de erreichbar)






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